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Beitrag vom 08.06.2012
Alle müssen raus. Das endgültige Ende der Schlecker-Ära im Juni 2012
Dana Strohscheer
Monatelang hofften die Arbeitnehmerinnen der Drogeriekette Schlecker auf ihre Weiterbeschäftigung bei dem insolventen Unternehmen, die Politik schaltete sich ein und versprach schnelle und...
...unkomplizierte Hilfe. Es hat alles nichts genutzt. Heute beginnt der Ausverkauf in den Filialen. Nun kommt doch kein Investor, der das Unternehmen neu strukturiert und den MitarbeiterInnen eine Perspektive aufzeigt.
Stattdessen stehen nach der ersten Entlassungswelle Ende März, der bereits 11.190 Beschäftigte zum Opfer fielen, weitere 14.000 Mitarbeiterinnen vor der Kündigung. Der Homepage des Unternehmens ist die dürftige Meldung zu entnehmen, dass dem Ausverkauf die Schließung der Schlecker Märkte "im Zuge der Betriebsstilllegung" folgt. Laut Informationen der Wirtschaftswoche fordern die Kinder des Firmenpatriarchen Anton Schlecker aus der Insolvenzmasse insgesamt 176 Millionen Euro. Wieviel sie erhalten werden ist unklar, doch ist diese Forderung durchaus grenzwertig. Statt die Mitarbeiterinnen zu unterstützen, geht es den beiden offenbar nur darum, eigene finanzielle Verluste zu minimieren. Auch der Verkauf der zum Unternehmen gehörenden Kette IhrPlatz und der Schlecker-XL Filialen an die DUBAG (Deutsche Unternehmensbeteiligung AG) scheiterte überraschend, wodurch weitere 5.000 Arbeitsplätze wegfallen.
Die Mitarbeiterinnen stehen vor dem Aus.
Frauen im Abseits
Es gibt weder die breit diskutierte und am Veto der FDP gescheiterte Transfergesellschaft, noch sind genügend freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt vorhanden. Laut Auskunft der Dienstleistungsgesellschaft ver.di stehen den 25.000 Jobangeboten im Einzelhandel 360.000 Arbeitssuchende gegenüber. Betroffen von den Entlassungen sind vor allem Frauen. Wie in der Branche üblich, sind Männer nur auf den höheren Positionen des Unternehmens zu finden. 70 % der Betroffenen sind Frauen zwischen 20 und 49 Jahren. Von den bereits im März entlassenen Frauen haben sich bisher lediglich 2.300 aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet. Davon arbeite ein Teil erst einmal in unbezahlten Praktika oder als Urlaubsvertretung, wie ver.di Chef Frank Bsirske mitteilte. 2.600 Frauen werden laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales in "Maßnahmen" betreut. Dazu zählen etwa Coachings bei der Suche nach einem neuen Job oder Schulungen an anderen Kassensystemen.
Umschulung - und dann?
Die Bundesarbeitsministerin Ursula von Leyen machte am Donnerstag gemeinsam mit dem Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise und Bsirske den Vorschlag, den Frauen einen Umschulung zur Erzieherin oder Altenpflegerin zu ermöglichen. Finanziert werden soll diese Qualifizierungsmaßnahme durch die "Initiative zur Flankierung des Strukturwandels", die mit einem Budget von 400 Millionen Euro ausgestattet ist. Sie soll den Frauen helfen, die in strukturschwachen Regionen leben oder keine Berufsausbildung vorweisen können. Das betrifft immerhin ein Drittel der gekündigten Mitarbeiterinnen, also um die 8.300 Frauen. Bsirske sieht diese Umschulungen als Chance sowohl für die Betroffenen als auch "für die Gesellschaft insgesamt".
Doch ist es wirklich so simpel? Es hört sich einfach an, eine Berufsausbildung nachzuholen. Mit Anfang zwanzig mag das der Fall sein. Doch was machen die Frauen, die Ende vierzig sind und die letzten zehn Jahre als Verkäuferin gearbeitet haben? Und was, wenn die ehemaligen Schlecker-Mitarbeiterinnen zwar kontaktfreudig und freundlich zu ihren KundInnen waren, aber nicht darauf erpicht sind, ältere Leute oder Kinder zu betreuen?
Die Politik, die sich die letzten drei Monate um ernsthafte Lösungsansätze für die wirtschaftliche Situation des Unternehmens hätte bemühen können, hat versagt. Diese Maßnahmen sind nicht vielmehr als ein Feigenblatt. Die Zeit wäre ausreichend gewesen, mit handfesten Konzepten aufzuwarten. Die Frauen, die oft auch in Teilzeit gearbeitet haben, da sie sich um ihre Kinder oder Angehörige kümmern müssen, werden wieder einmal benachteiligt und allein gelassen. Die Folge davon sind niedrigere Rentenanteile, die in niedrigere Bezüge im Alter und in die Falle der Altersarmut führen.
Die Mitarbeiterinnen werden zwar nicht aus dem Paradies vertrieben, denn die Arbeitsbedingungen bei Schlecker waren seit je schlecht. Es dauerte viele Jahre, bis es einen Tarifvertrag gab, sich BetriebsrätInnen in den Filialen gründen konnten. Die hauseigene Leiharbeitsfirma wurde nach langen Kämpfen der Mitarbeiterinnen erst im vergangenen Jahr abgeschafft. Doch auch schon damals wurden die Frauen von der Politik nicht unterstützt.
O-Ton einer Schlecker-Mitarbeiterin am Freitag, 8. Juni 2012 gegenüber AVIVA-Berlin: "Wo sollen wir denn hin? Sie glauben doch nicht, ich kann mich jetzt noch umschulen lassen, um auf kleine Kinder aufzupassen? Plötzlich sind alle für Schlecker, doch die, die das Unternehmen kaputtgekriegt haben waren doch die, die geklaut haben und dann hinterher behauptet haben, Schlecker sei schlecht. Ich sage: Schlecker hat uns immer gut bezahlt, wir hatten Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Es war wie eine Familie."
Was ist auf den Seiten des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu den Problemen der Schlecker-Frauen zu erfahren? "Anzahl der Suchergebnisse: 0." Auch das macht deutlich, welchen gesellschaftlichen Stellenwert die Situation der Frauen hat. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder beeilte sich zwar, von der Leyens Vorschlag in der Süddeutschen Zeitung zu begrüßen, aber eigene Aussagen zu der Situation bzw. Hilfestellungen seitens des Ministeriums gab es in den letzten Monaten nicht. Möglichkeiten hätte es genügend gegeben.
Weitere Informationen finden Sie unter:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales:
www.bmas.de
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
www.bmfsfj.de
www.verdi.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin
Bildungskampagne - Meine Geschichte ist Gold für Berlin - Bildung und Chancengleichheit für Frauen
(Quellen: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Homepage des Unternehmens Schlecker, ver.di, Süddeutsche Zeitung)